Wenn eine Beziehung endet und Kinder involviert sind, stehen wir vor einer der tiefgreifendsten Prüfungen unseres Menschseins. Die Wut, die in uns aufsteigt, der Hass, der sich manchmal wie Gift durch unsere Gedanken zieht – all das sind keine Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck tiefer Verletzung.

Die Wahrheit über Wut und Hass

Wut ist zunächst ein Schutzschild. Sie verdeckt den Schmerz, die Enttäuschung, die zerbrochenen Träume. Doch was geschieht, wenn wir diesen Hass nähren? Er verbindet uns energetisch mit genau dem Menschen, von dem wir uns eigentlich lösen wollten. Paradoxerweise hält uns die Ablehnung in einer unsichtbaren Bindung gefangen.

Eine alte Weisheit lehrt uns: Festhalten an Groll ist, als würde man selbst Gift trinken und hoffen, der andere würde daran sterben.

Das Kind in der Mitte

Kinder sind empathische Wesen mit feinen Antennen. Sie spüren die unausgesprochene Spannung, die giftige Energie zwischen den Eltern – auch wenn wir glauben, sie zu verbergen. Jedes abfällige Wort über den anderen Elternteil, jede verächtliche Geste reißt etwas in ihrer Seele, denn sie tragen beide Eltern in sich.

Das Kind liebt beide Elternteile bedingungslos. Wenn wir den Ex-Partner vor dem Kind herabwürdigen, zwingen wir das Kind, einen Teil seiner selbst abzulehnen.

Der Weg der inneren Transformation

Wie also können wir anders mit dieser Situation umgehen?

Akzeptanz des Schmerzes: Zunächst dürfen wir unseren Schmerz vollständig fühlen. Nicht unterdrücken, nicht dramatisieren – einfach da sein lassen. Tränen sind keine Schwäche, sondern Heilung in flüssiger Form.

Verantwortung übernehmen: Nicht für das Scheitern der Beziehung, sondern für unsere Reaktion darauf. Wir können nicht kontrollieren, was geschehen ist, aber wir können wählen, wie wir damit weiterleben.

Die Kunst der Neutralität: Im Umgang mit dem Ex-Partner eine sachliche, respektvolle Haltung kultivieren. Das bedeutet nicht, dass wir die Verletzung leugnen. Es bedeutet, dass wir uns entscheiden, nicht länger im Drama zu verweilen.

Das Kind schützen: Kinder brauchen keine perfekten Eltern, aber sie brauchen Eltern, die ihre eigenen Emotionen regulieren können. Das Kind sollte niemals Botschafter, Tröster oder Verbündeter im Konflikt werden.

Wenn neue Partner ins Spiel kommen

Das Auftauchen eines neuen Partners beim Ex kann alte Wunden aufreißen. Vielleicht fühlt es sich wie Verrat an, wie ein Beweis dafür, dass alles Gemeinsame nichts wert war.

Doch hier liegt eine Einladung zur Selbstreflexion: Was genau wird in uns getriggert? Ist es verletzte Eitelkeit? Angst, ersetzt zu werden – auch in den Augen der Kinder? Oder der Schmerz darüber, dass das Leben weitergeht?

Auch hier gilt: Der neue Partner ist nicht der Feind. Er oder sie ist ebenfalls nur ein Mensch auf seiner eigenen Reise.

Praktische Achtsamkeit im Alltag

  • Pausieren Sie, bevor Sie reagieren: Wenn Wut aufsteigt, atmen Sie dreimal tief durch, bevor Sie antworten oder handeln
  • Sprechen Sie niemals schlecht über den anderen Elternteil: Finden Sie neutrale Formulierungen, auch wenn es schwerfällt
  • Suchen Sie Unterstützung: Freunde, Therapeuten, Selbsthilfegruppen – nicht das Kind
  • Schaffen Sie Rituale der Selbstfürsorge: Meditation, Bewegung, Natur – was auch immer Ihre Seele nährt
  • Üben Sie einen Perspektivwechsel: Was könnte der Ex-Partner fühlen? (Das bedeutet nicht, sein Verhalten gutzuheißen)

Die tiefere Wahrheit

Letztlich geht es nicht darum, dem anderen zu vergeben, weil er es verdient hätte. Es geht darum, uns selbst zu befreien. Jeder Tag, den wir im Groll verbringen, ist ein Tag, an dem wir nicht wirklich leben.

Die Trennung ist geschehen. Sie ist Teil unserer Geschichte, aber sie muss nicht unsere Zukunft definieren.

Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum und in diesem Raum liegt unsere Freiheit.
-Viktor Frankl-

Wenn wir lernen, dem ehemaligen Partner mit Gleichmut zu begegnen, schenken wir nicht ihm etwas, sondern uns selbst und vor allem unseren Kindern. Wir zeigen ihnen, dass Beziehungen enden können, ohne dass Liebe in Hass verwandelt werden muss. Dass Menschen sich trennen können und dennoch würdevoll miteinander umgehen.

Hinweis zur Sprache

In diesem Text verwende ich häufig die männliche Form, um den Lesefluss zu erleichtern. Selbstverständlich sind damit Menschen aller Geschlechter gleichermaßen angesprochen und gemeint.

Liebe Leserinnen und Leser,

dieser Beitrag ist nicht als moralischer Zeigefinger gedacht, sondern als sanfte Einladung zur Selbstreflexion. Vielleicht befinden Sie sich gerade mitten im Sturm einer Trennung. Vielleicht fühlen sich manche Worte unerreichbar an, während die Wut noch so frisch und der Schmerz so überwältigend ist. Das ist vollkommen in Ordnung. An manchen Tagen werden Sie sich friedvoll fühlen, an anderen wird die alte Verletzung plötzlich wieder da sein. Beides ist Teil des Prozesses. Seien Sie geduldig mit sich selbst. Jeder Moment, in dem Sie innehalten bevor Sie aus Wut reagieren, ist ein Sieg.

Rainer Schwenkkraus

Berater und Autor